Durch Kritik zur Selbsterkenntnis

Wer wird schon gerne kritisiert! Die meisten Menschen empfinden Kritik als einen persönlichen Angriff. Und wenn man angegriffen wird, verteidigt man sich. Das ist ein ganz natürlicher Reflex. Doch man kann mit Kritik auch anders umgehen, denn sie birgt ein grosses Potenzial zu innerem Wachstum. Wie das funktioniert, zeigt „The Work“, eine wunderbare Bewusstseinsarbeit, die von der Amerikanerin Byron Katie entwickelt wurde. Von Colette Grünbaum

Gehören Sie zu den Menschen, die Mühe haben mit Kritik angemessen umzugehen? Oft bedarf es nicht einmal der Kritik, unser Selbstwertgefühl kann schon durch mangelnde Übereinstimmung empfindlich verunsichert sein. Was geschieht eigentlich mit uns, wenn wir kritisiert werden?

Nehmen Sie sich doch ein paar Minuten Zeit und vervollständigen Sie die folgenden Sätze. Wichtig ist dabei, dass Sie sich nicht zensieren, sondern das schreiben, was Sie wirklich denken. Lassen Sie diese Aussagen dann einige Minuten auf sich wirken.

Wenn mich jemand kritisiert,

a) denkt er von mir…….

b) hält er mich für……

c) sieht er sich als……

Meist sind es unsere eigenen, wenig bewussten Überzeugungen, die uns das Leben schwer machen. Ein Kritikübender stellt nicht zwangsläufig sein Gegenüber in Frage. Das ist lediglich unsere Interpretation der Situation. Doch das ist gar nicht so leicht zu verstehen.

 

Es gibt viele Arten von Kritik: angebrachte und unangebrachte, Kritik an einer Arbeitsweise, Kritik an einer Person oder an einem System. Für die Betroffenen ist sie fast immer unangenehm. Hier einige Tricks, die wir beachten sollten.

Nicht verallgemeinern. Kritisiert uns ein Vorgesetzter, denken wir oft, dass er generell mit uns nicht zufrieden ist und wir reagieren entsprechend verunsichert. Wir tendieren zum Verallgemeinern und fühlen uns allzu schnell als Versager, ohne im Einzelnen genauer zu differenzieren. Doch es gibt viele Wege zum Ziel und wenn wir mal nicht den schnellsten oder schlausten gewählt haben, heisst das noch lange nicht, dass wir inkompetent sind.

Unterscheiden zwischen Sache und Person. Viele Menschen haben nicht gelernt zwischen der Sache, um die es geht, und der eigenen Person zu unterscheiden. Wenn jemand mit der Arbeitsweise einer/s Anderen unzufrieden ist, fühlt derjenige oder diejenige sich persönlich angegriffen, obwohl der Kritisierende lediglich die Arbeit meint, die man seiner Meinung nach vielleicht anders anpacken könnte.

Wenn wir unseren Selbstwert an gute Leistungen binden, setzen wir uns unter einen enormen Leistungsdruck. Ausserdem wird die perfekte Leistung zum Massstab unseres Stimmungsbarometers, was verhängnisvolle Auswirkungen haben kann! Entkoppeln Sie deshalb Ihren Selbstwert von den Leistungen! Sie sind ein wertvoller Mensch, ganz abgesehen davon, was Sie tun!

 

Mit „The Work“ Konflikte friedlich lösen

Die Amerikanerin Byron Katie hat ein Set von vier Hauptfragen zusammengestellt, die den Zusammenhang zwischen unseren Überzeugungen und unserer Befindlichkeit erhellen. Es sind nicht die äusseren Umstände, die uns das Leben vermiesen, es ist nicht die Kritik, es ist unser Denken über sie. Dies wird ganz offensichtlich, wenn wir unsere Überzeugungen aufschreiben und sie anhand der Fragen ihrer Methode „The Work“ untersuchen. (s. Kästchen) Mit dieser Arbeit können wir Konfliktsituationen entschärfen und viele wertvolle Einsichten gewinnen.

Nehmen wir als praktisches Beispiel folgenden Glaubenssatz: „Wenn mich jemand kritisiert, stellt er mich in Frage.“ Die Analyse kann demnach lauten:

1. Ist das wahr? „Ja natürlich“, antworte ich spontan. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Stelle ich mit jeder Kritik die andere Person in Frage. „Nein“.

2. Kann ich mit absoluter Sicherheit wissen, dass der Chef mich in Frage stellt, wenn er mich kritisiert? Auch hier lautet die Antwort natürlich: „Nein“.

3. Wie reagiere ich, wenn ich meinen Gedanken für wahr halte? „Ich habe stets Angst, mein Ansehen zu verlieren oder sogar meine Stelle. Ich werde unsicher, fühle mich schlecht und versuche immer, es allen recht zu machen – und zwar so, wie es von mir erwartet werden könnte. Mein ganzer Körper ist angespannt, weil ich mich so sehr anstrenge. Ich atme nicht voll und habe deshalb wenig Energie. a) Ein Grund, den Gedanken fallen zu lassen wäre, dass ich mich besser fühlen würde ohne ihn. b) Dieser Gedanke bringt nur Stress, ich kann keinen friedlichen Grund finden, daran festzuhalten.

4. Wer wäre ich ohne den Gedanken? Wie würde ich mir die Kritik anhören, wenn ich nicht denken könnte, dass man mich damit in Frage stellt? „Ich könnte mir ruhig anhören, was mein Vorgesetzter sagt, ohne mich dabei schlecht zu fühlen. Seine Anregungen wären bei mir willkommen, wenn sie Sinn machen oder ich könnte ihm sagen, was ich mir selbst überlegt hatte und warum ich es gerne weiterhin so machen würde wie bisher. Ich bliebe innerlich ruhig und bei Laune, wäre in mir gefestigt und würde den Boden unter den Füssen behalten. Im Körper wäre ich entspannt und frei.

 

Glaubenssätze umkehren

Der letzte Schritt von „The Work“ ist die Umkehrung unserer Überzeugung. Dabei gibt es viele Varianten. Wir prüfen nun, ob diese Varianten genauso wahr oder gar wahrer sind, als unser ursprünglicher Gedanke:

– Wenn jemand mich kritisiert, stellt er mich nicht in Frage. „Ja, das ist genauso gut möglich.“

– Wenn jemand mich kritisiert, stelle ich mich in Frage. „Ja, genau das wurde bei der Untersuchung sehr deutlich.“

– Wenn jemand mich kritisiert, stelle ich ihn in Frage. „Das tue ich oft auch, am zutreffendsten ist aber, dass ich mich bei Kritik selbst in Frage stelle und dadurch stresse.“

In den Umkehrungen finden wir oft den Schlüssel zu einem entspannteren, freieren Leben.

 

Bei sich selbst bleiben

Was ist die schlimmste Kritik, die Sie je zu hören bekamen? Machen Sie sich klar: Ohne Verallgemeinerung wäre die schlimmste Kritik nur halb so wild. Auch hierfür ein Beispiel: „Du bist stur, moralisch und intolerant“, warf Heinz Helga vor und es verletzte sie sehr, denn sie war bemüht, genau das alles nicht zu sein. So ging sie zuerst in die Verteidigung und schliesslich zu einem Gegenangriff über. Sofort waren die beiden in einen unschönen Schlagabtausch verstrickt.

Stattdessen hätte Helga sich fragen können: „Stimmt das? Bin ich manchmal stur?“ Und sie hätte es sich eingestanden und gesehen: „Ja, und intolerant und moralisch war ich auch schon.“ Wäre Helga aus dem Schlagabtausch ausgestiegen und hätte lediglich geantwortet mit: „Danke, dass du mir das mitgeteilt hast“ oder „Danke, ich habe dich gehört“, hätte dies zu einem Stimmungsumschwung führen und das Gespräch auf eine andere Ebene bringen können. Heinz hätte dann die Chance gehabt, sein eigenes Verhalten zu reflektieren.

 

Von der Dunkelheit ins Licht

Wenn wir Kritik als schmerzlich erleben und sie entrüstet von uns weisen, ist das im Allgemeinen ein Zeichen dafür, dass ein ungelöstes Thema in uns angestossen wurde. Ungelöstes ist immer problematisch und erzeugt Widerstand. Mit den Fragen von „The Work“ können wir diesen Schattenbereich in uns ans Licht bringen und uns von unbewussten schmerzlichen Verhaltensmustern befreien.

Haben Sie es satt, unter Kritik zu leiden? Dann beginnen Sie damit, Ihre oben aufgeführten Sätze mit den Fragen von „The Work“ zu untersuchen. Diese Selbsterforschungs-Methode ist ein wunderbares Werkzeug das Sie zu mehr Klarheit und zur Weisheit in Ihrem inneren führt. Tun Sie sich selbst und anderen damit etwas Gutes, und Ebnen Sie sich damit den Weg zu mehr Lebensfreude!

 

Die Fragen von „The Work“

1. Ist das wahr? Wie sieht denn die Wirklichkeit aus?

2. Kann ich mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?

3. Wie reagiere ich, wenn ich meinen Gedanken für wahr halte? (Wie fühle ich mich dabei innerlich? Was nehme ich in meinem Körper wahr? Wie behandle ich mich/ und wie den anderen, wenn ich das glaube? Was bringt mir dieser Gedanke?)

a) Kann ich einen Grund sehen, diesen Gedanken fallen zu lassen? Was wäre ein Grund? (Versuche nicht, den Gedanken fallen zu lassen, das geht nicht).

b) Kann ich einen einzigen friedlichen Grund finden, an diesem Gedanken festzuhalten?

4. Wer wäre ich ohne diesen Gedanken? Wie wäre mein Leben ohne ihn?

Die Umkehrung: Kehren Sie nun den Gedanken um. Dazu vertauschen Sie die Subjekte oder verwandeln den Satz ins Gegenteil. Beispiel: Er sollte mir helfen.

-Er sollte mir nicht helfen.

-Ich sollte mir helfen.

-Ich sollte ihm helfen.

Erschienen in der Zeitschrift BIO Schweiz Nr. 5 Okt./Nov. 2004

 

Information: www.gruenbaum.ch
Colette Grünbaum, Schlosshofstrasse 48, CH-8400 Winterthur,
mobile: 079 743 36 80

 

zurück